Ist mein Rücken krank? | 5 min Lesezeit

Bandscheibenvorfall? Keine Panik, bitte.

Verfasst von Theresia Lechner
Bandscheibenvorfall an Hand der Wirbelsäule mit Nerven gezeichnet

Wenn es um das Thema Bandscheibenvorfall geht, kursieren leider die wildesten Geschichten und Überzeugungen. Verbreitet durch das Internet, nette Verwandte und Hobby Mediziner. Dahinter stecken in den wenigsten Fälle die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft. Wusstest du zum Beispiel, dass ein sehr großer Anteil der Bandscheibenvorfälle gar nicht mit Rückenschmerzen einhergehen? Nein? Dann sei gespannt auf evidenzbasierte und erstaunliche Infos.

Bandscheibenvorfall als häufigster Grund für Rückenschmerzen?

Wenn man mit Arbeitskollegen, Verwandten und Freunden spricht, erweckt es oft den Eindruck, dass Bandscheibenvorfälle der Grund Nummer 1 für Rückenschmerzen sind. Tatsächlich ist es so, dass 70% der Rückenschmerzen unspezifisch sind. Das heißt, dass niemand so genau weiß, woher die Schmerzen eigentlich kommen [10].

Nur insgesamt 4% der Rückenschmerzen im unteren Rücken werden tatsächlich durch einen Bandscheibenvorfall verursacht [10]. 

Bevor du noch mehr zum Thema Schmerzen und Bandscheibenvorfälle erfährst, bekommst du jetzt noch kurz erklärt was genau eigentlich ein Bandscheibenvorfall ist.

Die Bandscheibe fällt eigentlich nirgendwo hin

Wenn deine Bandscheibe bis jetzt eher eine wage Idee für dich ist, dann lies doch jetzt den Artikel über die Funktion der Bandscheibe, bevor du hier weiter machst. Dann fällt dir das Lesen dieses Artikels leichter. 

Der Begriff Bandscheibenvorfall ist eigentlich physiologisch nicht ganz korrekt. Deine Bandscheibe als Ganzes bleibt nämlich wo sie ist. Sie fällt also nicht einfach raus oder vor. Vielmehr wird der äußere Ring deiner Bandscheibe mit zunehmendem Alter und Belastung spröde und bekommt kleine Risse. Er kann also die nötige Spannung nicht mehr so gut auf recht erhalten. Der gelartige Kern der Bandscheibe drückt dann in die Risse [1,2].

Dabei kann deine Bandscheibe ein klein wenig anschwellen und somit ihren Durchmesser Richtung Nerven und Rückenmark vergrößern. Wenn das passiert, spricht man von einer Bandscheibenprotrusion. Schreitet der Vorgang dann noch weiter voran, kann es passieren, dass das gelartige Innere der Bandscheibe durch die Risse hindurch „ausläuft“ und schließlich Richtung Rückenmark/Spinalnerven „fließt“ [1,2].

Voilà: ein Bandscheibenvorfall oder auch Bandscheibenprolaps [1,2].

Bandscheibenvorfall von cranial gezeichnet
Bandscheibenvorfall (von oben betrachtet) nach rechts außen (blau), der den Spinalnerv ärgert (gelb).

Wie äußert sich ein Bandscheibenvorfall?

Grundsätzlich kann man sagen, dass bis zu 20% der Menschen unter 50 Jahren eine Bandscheibenvorwölbung auf einem MRT zeigen, aber keinerlei Symptome zeigen. Keine Rückenschmerzen, Taubheitsgefühle, oder Muskelabschwächungen [3-9].

Wenn du älter als 75 Jahre bist, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass du eine Bandscheibenvorwölbung hast, die aber keine Probleme macht, sogar bis auf 75% [9].

Selbst bei den Bandscheibenvorfällen bemerken mindestens 3 von 100 Menschen absolut nichts davon [3-9]. Und wie oben bereits erwähnt, sind nur 4% aller Symptome bezüglich des Rückens, wie zum Beispiel Schmerzen, auf einen Bandscheibenvorfall zurückzuführen [10].

Die Wahrscheinlichkeit, dass deine Rückenschmerzen von einem Bandscheibenvorfall oder einer Bandscheibenvorwölbung her rühren sind also sehr gering.

Und was ist wenn ich zu den 4% gehöre?

Abhängig davon, wo der Bandscheibenvorfall auftritt können dann verschiedenste Probleme auftreten. Je nachdem welche Nerven von dem austretendem Bandscheibenmaterial geärgert werden, gibt es bestimmte Muskeln, die abgeschwächt sein können. Oder auch Hautareale die sich taub oder komisch anfühlen.

Ein weiteres Symptom sind ausstrahlende Schmerzen in Arme oder Beine/Po. Um das genauer bestimmen zu können, braucht es ein ausführliches Gespräch mit deinem Arzt und eine körperliche neurologische Untersuchung [11].

Was du aber fast nie brauchst, ist ein MRT oder ein Röntgenbild [15]. Davon wird sogar abgeraten, weil man herausgefunden hat, dass sich ein Bild negativ auf die Einstellung zu deinen Rückenschmerzen auswirken kann [10].  Es ist wichtig zu wissen, dass selbst Rückenschmerzen, die neurologische Symptome zeigen (also Missempfindungen, Abschwächung der Muskulatur oder ausstrahlende Schmerzen) sich meistens von ganz alleine innerhalb der ersten 4 Wochen  verbessern [12,13].

Wichtig ist, dass du aktiv bleibst und dich in deinem möglichen Rahmen bewegst und wieder in die Arbeit gehst [11].

Die Frau mit dem Bandscheibenvorfall, aber keinerlei Rückenschmerzen

Um nochmal deutlich zu machen, dass selbst ein symptomatischer Bandscheibenvorfall, nicht gleich unaushaltbarer Rückenschmerz bedeutet, möchte ich dir noch eine kleine Geschichte aus der Physiotherapie Praxis erzählen. Zu mir kam eine junge Patientin, der beim Rasieren der Beine eine kleine taube Stelle am Unterschenkel aufgefallen war. Sonst nichts. Keine Schmerzen. Nirgendwo.

Nach dem ein MRT von ihrem Rücken gemacht worden war, stellte sich heraus dass sie einen Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule hatte. Du siehst also, dass ein Bandscheibenvorfall keinesfalls der Beginn eines Lebens voller Schmerzen bedeuten muss.

Beinrasur gezeichnet mit zwei Beinen und einer Hand im Bild
Manchmal bemerkt man den Bandscheibenvorfall erst bei der Beinrasur

Muss man bei einem Bandscheibenvorfall nicht operieren?

Man weiß inzwischen, dass sich bei frühzeitig (innerhalb der ersten 48 Stunden) operierten Patienten die Schmerzen und neurologische Symptome rascher zurück bilden als bei nicht oder spät operierten Patienten. Aber: Nach Ablauf eines Jahres besteht kein signifikanter Unterschied mehr zwischen operierten und nicht operierten Patienten [11].

Der einzige Fall in dem eine Operation tatsächlich dringend notwendig ist, ist das so genannte Cauda Equina Syndrom. Dazu kommt es, wenn das ausgetretene Bandscheibenmaterial direkt auf das Rückenmark drückt. Aber keine Panik, nur bei 0,04% der Menschen mit Rückenschmerzen tritt dieses Syndrom auf [10]. Solltest du diese Symptome bei dir bemerken, such bitte schnellstmöglich einen Arzt auf [11]:

  • Blasen-Mastdarmstörung (plötzlich auftretende Impotenz, schlaffe Lähmungen sowie der unwillentliche Verlust von Stuhl und/oder Harn)
  • Reithosenanästhesie (sensible Störungen im inneren Gesäß- oder Oberschenkelbereich, wie Kribbeln, Kälte- oder Hitze-Empfindungen und Taubheit)
Reithosenanästhesie gezeichnet
Reithosenanästhesie -im blauen Bereich bemerkst du Gefühlsstörungen bei einem Cauda Equina Syndrom

Was du über Bandscheibenvorfälle gelernt hast

Du weißt jetzt, dass ein Bandscheibenvorfall nicht unbedingt mit Rückenschmerzen zusammenhängt und eher selten auftritt. Außerdem hast du gelernt, dass die Bandscheibe nicht wirklich „raus fallen“ kann und die meisten Rückenschmerzen (auch gepaart mit neurologischen Symptomen) nach 4 Wochen von selber leichter werden und somit keiner Operation bedürfen. Wichtig ist es, egal, ob Bandscheibenvorfall oder nicht in Bewegung zu bleiben.

Besser Wissen

Regelmäßiges Joggen (20-40km pro Woche) oder Langstreckenläufe werden mit einem besseren Zustand der Bandscheibe in Verbindung gebracht. Sowohl die Flüssigkeits- und Nährstoffversorgung, als auch die Dicke der Bandscheibe profitiert vom regelmäßigen Laufen. Die ideale Geschwindigkeit für deine Bandscheiben liegt dabei zwischen 5,5 km/h und 9 km/h [14].

 

Wichtiger Hinweis:
Dieser Artikel enthält nur allgemeine Hinweise und darf nicht zur Selbstdiagnose oder -behandlung verwendet werden. Er kann einen Arztbesuch nicht ersetzen.

[1] Frost, B.; Camarero-Espinosa, S.; Foster, E. (2019): Materials for the Spine: Anatomy, Problems, Solutions. In: materials(Basel). 12(2): 253. 

[2] Krämer, R.; Matussek, J.; Theodoridis, T. (2013): Bandscheibenbedingte Erkrankungen. Ursachen, Diagnose, Behandlung, Vorbeugung, Begutachtung. 6. Auflage. Stuttgart: Georg Thieme Verlag.

[3] Brinjikji, W.; Diehn, F.; Jarvik, J.; Carr, C.; Kallmes, D.; Murad, M.; Luetmer,P. (2015): MRI Findings of Disc Degeneration are More Prevalent in Adults with Low Back Pain than in Asymptomatic Controls: A Systematic Review and Meta- Analysis.

[4] Matsumoto, M.; Okada, E.; Toyama, Y. (2013): Tandem age-related lumbar and cervical intervertebral disc changes in asymptomatic subjects. Eur Spine J. 22:708–13.

[5] Al-Saeed, O.; Al-Jarallah, K.; Raeess, M. (2012): Magnetic resonance imaging of the lumbar spine in young Arabs with low back pain. Asian Spine J. 6:249–56

[6] Bennett, D.; Nassar, L.; DeLano, M. (2006): Lumbar spine MRI in the elite-level female gymnast with low back pain. Skeletal Radiol. 35:503–09.

[7] Boos, N. ; Rieder, R.; Schade, V. (1995): 1995 Volvo Award in clinical sciences: the diagnostic accuracy of magnetic resonance imaging, work perception, and psychosocial factors in identifying symptomatic disc herniations. Spine Phila Pa. 20: 2613–25.

[8] Takatalo, J.; Karppinen, J.; Niinimäki, J.(2012): Association of Modic changes, Schmorl’s nodes, spondylolytic defects, high-intensity zone lesions, disc herniations, and radial tears with low back symptom severity among young Finnish adults. Spine Phila. 37:1231–39.

Und noch mehr Quellen

[9] Boden, S. ; McCowin, P. ; Davis, D. (1990): Abnormal magnetic-resonance scans of the cervical spine in asymptomatic subjects: a prospective investigation. J Bone Joint Surg Am. 72:1178–84.

[10] Wáng, Y., Wu, A. M., Ruiz Santiago, F., Nogueira-Barbosa, M. H. (2018). Informed appropriate imaging for low back pain management: A narrative review. Journal of orthopaedic translation15, 21–34.

[11] Glocker F. et al, Lumbale Radikulopathie, S2k-Leitlinie, 2018; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 24.04.MM.2019) .

[12] Pengel, L.; Herbert, R; Maher, C.; Refshauge, K. (2003): Acute low back pain: systematic review of its prognosis. BMJ.327:323.

[13] Vroomen, P.; de Krom, M.; Knottnerus, J. (2002): Predicting the outcome of sciatica at short-term follow-up. Br J Gen Pract. 52:119–123.

[14] Belavy, D.; Quittner, M.; Ridgers, N.; Ling, Y.; Connell, D.; Rantalainen, T. (2017): Running exercise strengthens the intervertebral disc. Sci Rep.7:45975.

[15] Glocker, F. (2018): Lumbale Radikulopathie: Klinik steht vor Bildgebung. Dtsch Arztebl. 115(37): [22].